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Anna Orsós




Heute stellen wir eine beeindruckende Roma-Aktivistin aus Ungarn vor – Anna Orsós, Vorsitzende der Organisation Amrita OBK Egyesület. Anna hat ihr Leben dem Kampf für die Rechte der Roma-Gemeinschaft gewidmet, insbesondere für Roma-Frauen, die zu den verletzlichsten Gruppen gehören. Sie ist eine der aktivsten Vertreterinnen der Roma in Ungarn und engagiert sich auch intensiv in internationalen Projekten.



  1. Könnten Sie uns kurz Ihren Lebensweg vorstellen?

    Ich bin in tiefer Armut im Roma-Viertel Akácutca aufgewachsen, unter einem Akazienwald. Das Leben dort war hart, viele Roma arbeiteten als Tagelöhner für die weiße Bevölkerung, meist im Tausch gegen Essen. Ich lebte mit sieben Geschwistern in einem kleinen Haus und zog später dort auch meine zwei Kinder groß. Ich wollte dieser Armut entkommen und so leben wie meine nicht-Roma-Altersgenossen – in einem schönen Haus, mit anständiger Kleidung, Reisen und einer gut bezahlten Arbeit.


    Mein Vater hatte die damals mögliche Schulbildung abgeschlossen, arbeitete jedoch als Arbeiter in einer Emaillefabrik in Bonyhád. Meine Mutter war Analphabetin, aber die klügste Frau, die ich je kannte. Trotz der harten finanziellen Bedingungen erinnere ich mich gerne an meine Kindheit. Zwischen meinem dritten und sechsten Lebensjahr litt ich an einer Nierenerkrankung und musste regelmäßig ins Krankenhaus. Trotzdem war die Gemeinschaft sehr unterstützend – ich fühlte mich wie Teil einer großen Familie. Ich liebte es, abends Geschichten am Feuer zu hören, während wir gemeinsam kochten. Wir Kinder lebten frei, spielten, halfen unseren Eltern und unterstützten die Älteren.

    Was hat Sie inspiriert, sich für die Rechte der Roma zu engagieren?

    Mich motivierte die tiefe Ungleichheit, die ich überall um mich herum sah, und mein Gerechtigkeitssinn. Ich beobachtete, wie meine Familie und viele andere aus der Roma-Gemeinschaft ungerecht behandelt wurden. Diese Ungerechtigkeit brachte mich dazu, für unsere Rechte zu kämpfen – für meine Familie, meine Nachbarn und für alle Roma. Ich wollte eine Welt schaffen, in der Roma ohne Diskriminierung leben und die gleichen Chancen auf Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe haben wie alle anderen. Das Bewusstsein, dass der Status quo nicht akzeptabel ist und ich etwas ändern kann, inspirierte meine Arbeit.


    Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert und wie haben diese Ihr Engagement geprägt?

    Die größte Herausforderung war der fehlende Glaube an Veränderung innerhalb meiner eigenen Gemeinschaft. Viele Menschen waren überzeugt, dass es keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gäbe – geprägt durch jahrhundertelange Unterdrückung. Diesen Pessimismus zu überwinden war schwer, aber es motivierte mich umso mehr, meiner Gemeinschaft zu zeigen, dass Wandel möglich ist. Ich musste sie nicht nur davon überzeugen, dass sich ihr Leben verbessern kann, sondern auch, dass sie selbst aktiv an diesem Wandel mitwirken können. Diese Herausforderung trieb mein Engagement an, Menschen zu stärken, ihr Selbstwertgefühl zu fördern und ihnen zu zeigen, dass sie den Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung durchbrechen können.




  1. An welchen Projekten oder Initiativen zur Verbesserung der Lebenssituation der Roma waren Sie beteiligt?

    Eines der wichtigsten Projekte, an dem ich mitgewirkt habe, ist das Stipendienprogramm Lehrer–Schüler. Es verbindet Roma-Familien und -Studierende mit dem Hochschulsystem, indem es privaten Nachhilfeunterricht und den Zugang zur Universität ermöglicht. Dieses Programm war entscheidend, um die Kluft zwischen Roma-Studierenden und hochwertiger Bildung zu überbrücken – es sorgt nicht nur dafür, dass sie studieren, sondern auch, dass sie dort erfolgreich sind. Es ist unglaublich erfüllend zu sehen, wie dieses Projekt Studierenden und ihren Familien Türen geöffnet hat, die sonst verschlossen geblieben wären.


  2. Können Sie eine Erfahrung teilen, die Sie besonders motiviert hat?

    Meine größte Motivation kommt aus meiner persönlichen Erfahrung als alleinerziehende Mutter. Ich wollte meine Kinder unterstützen, ihr Leben verändern und ihnen zeigen, dass auch sie eine bessere Zukunft haben können. Kinder in einem Umfeld großzuziehen, in dem sie von einem Leben jenseits von Armut träumen durften, gab mir die Kraft, weiterzumachen. Es hat meinen Glauben gestärkt, dass jedes Kind – unabhängig von seiner Herkunft – die Chance verdient, erfolgreich zu sein und eine Zukunft voller Möglichkeiten aufzubauen.


  3. Welche Veränderungen haben Sie in der Roma-Gemeinschaft infolge Ihrer Arbeit festgestellt?

    Ich habe besonders im Bildungsbereich große Fortschritte bemerkt. Immer mehr Roma-Studierende beginnen und beenden ein Hochschulstudium, viele erhalten gut bezahlte Jobs. Die Gemeinschaft ist selbstbewusster geworden, und vor allem Roma-Frauen treten stärker für ihre Rechte ein und durchbrechen Barrieren, die sie früher zurückgehalten haben. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, zeigen diese Entwicklungen, dass Fortschritt möglich ist – und dass unsere Gemeinschaft großes Potenzial hat.



Welchen Rat würden Sie jungen Roma geben, die ihre Gemeinschaft unterstützen möchten?

Mein Rat ist: Strebt immer nach Bildung und persönlicher Entwicklung. Kennt eure Rechte, kämpft für sie – und lasst euch niemals einreden, dass ihr keinen Platz am Tisch verdient. Die Zukunft unserer Gemeinschaft hängt davon ab, dass jeder Einzelne die Grenzen überwindet und auch anderen hilft, dies zu tun. Gemeinsam können wir eine stärkere, selbstbestimmte Roma-Gemeinschaft schaffen, in der jede*r die Chance hat, erfolgreich zu sein.


Was sind Ihre Zukunftspläne und wie möchten Sie die Roma-Gemeinschaft weiterhin unterstützen?

Ich möchte meine Programme weiter ausbauen, insbesondere solche, die gleiche Chancen im Bildungsbereich schaffen. Mein Ziel ist, dass Roma nicht nur Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung haben, sondern auch die nötige Unterstützung, um ihr Studium abzuschließen und stabile, gut bezahlte Jobs zu bekommen. Ich wünsche mir, dass Roma in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, sinnvolle Beiträge zur Gesellschaft leisten und ein Leben in Würde führen können – mit dem Einkommen, um ihre Familien zu unterstützen und eine bessere Zukunft aufzubauen. Ich werde mich auch weiterhin für systemische Veränderungen einsetzen, die gleiche Chancen für alle garantieren – unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

 
 
 

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