Hrsito Kyuchukov
- petjerok
- 28. Mai
- 3 Min. Lesezeit
In der Welt der Wissenschaft – einem Bereich, der für viele Angehörige marginalisierter Gemeinschaften historisch unzugänglich war – hat sich Hristo Kyuchukov eine einzigartige und einflussreiche Rolle erarbeitet. Als Linguist, Professor, Autor und Menschenrechtsaktivist engagiert er sich seit Jahrzehnten an vorderster Front für die Bildung und Sprachrechte der Roma. Seine bahnbrechende Arbeit stellt nicht nur langjährige institutionelle Ausgrenzungen in Frage, sondern unterstreicht auch den intellektuellen und kulturellen Reichtum der Roma-Gemeinschaften in ganz Europa.
1962 in Bulgarien geboren, wuchs Kyuchukov in einer muslimischen Roma-Familie (Xoraxane Roma) auf – ein Hintergrund, der sein wissenschaftliches und politisches Bewusstsein nachhaltig prägen sollte. Schon in jungen Jahren erlebte er, wie struktureller Rassismus, Armut und kulturelle Auslöschung die Roma in allen Lebensbereichen marginalisierten. Doch trotz dieser Barrieren fand er in der Bildung einen Weg nach vorne – nicht nur für sich selbst, sondern für seine gesamte Gemeinschaft.
Hristo Kyuchukovs akademischer Werdegang ist ebenso beeindruckend wie außergewöhnlich. Er studierte Psychologie und Linguistik, promovierte in Psycholinguistik und promovierte später zum Doctor of Science in Pädagogik. Als einer der ersten Roma in Osteuropa hatte er eine Professur inne und lehrte und forschte an bedeutenden Universitäten in Deutschland, Bulgarien und anderen Ländern.
Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Kyuchukov hat seine akademische Position stets für ein höheres Ziel genutzt: die sprachliche und pädagogische Stärkung von Roma-Kindern.
Seine bahnbrechende Forschung konzentrierte sich auf den Spracherwerb der Roma, Zweisprachigkeit und die Entwicklung von Lehrmethoden, die die kulturellen Realitäten der Roma widerspiegeln. Er gehörte zu den Ersten, die die Romanes-Sprache aus pädagogischer und psycholinguistischer Perspektive wissenschaftlich untersuchten und sich für ihre formelle Anerkennung und Aufnahme in die Schulsysteme in ganz Europa einsetzten.
In den 1990er Jahren war Kyuchukov federführend bei der Entwicklung von Lehrmaterialien, Lehrbüchern und Lehrplänen für die Romanes-Sprache, die als Pilotprojekt für den Roma-Sprachunterricht in Bulgarien und anderen europäischen Ländern eingesetzt wurden. Dies war nicht nur ein wissenschaftlicher Meilenstein, sondern auch ein mutiger politischer Eingriff – zu einer Zeit, als die meisten Bildungssysteme die Roma-Sprachen entweder ignorierten oder aktiv unterdrückten.
Im Laufe seiner Karriere arbeitete Kyuchukov mit Institutionen wie dem Europarat, der UNESCO und der OSZE zusammen und steuerte sein Fachwissen zu Minderheitenbildung, Sprachrechten und interkulturellem Lernen bei. Seine Arbeit hat die europäische Politik zur Inklusion der Roma, zu Minderheitensprachenrechten und zur Verhinderung von Schulsegregation maßgeblich geprägt.
Außerhalb des akademischen Bereichs veröffentlichte er zahlreiche Kinderbücher auf Romanes und Türkisch – oft mit Bezug auf Roma-Folklore und -Geschichten. Mit diesen Werken führte er junge Leser an die Schönheit der Roma-Kultur heran und hinterfragte gleichzeitig Stereotype auf subtile, aber eindringliche Weise.
Kyuchukov ist außerdem Gründer des Internationalen Forschungszentrums für Minderheitenstudien und interkulturelle Beziehungen und des „Roma-Zentrums für interkulturellen Dialog“ – Institutionen, die Raum für Forschung, Debatten und Interessenvertretung unter Roma-Beziehung schaffen.
Trotz all seiner Erfolge bleibt er seiner Mission treu. In Interviews und Vorträgen betont er immer wieder, wie wichtig es ist, dass Roma-Wissenschaftler und -Lehrer im Mittelpunkt ihrer eigenen Erzählungen stehen. „Wir brauchen keine anderen, die für uns sprechen“, sagte er. „Wir haben die Stimme, das Wissen und das Recht, unsere Zukunft zu gestalten.“
Sein Engagement forderte auch persönlich seinen Tribut. Jahrzehntelang war Kyuchukov Widerstand, Rassismus und institutioneller Kontrolle ausgesetzt – Erfahrungen, die vielen Roma-Experten vertraut sind. Doch er reagierte nicht mit Schweigen, sondern mit unermüdlicher Forschung, Mentoring und öffentlichem Engagement.
Heute gilt Professor Hristo Kyuchukov als einer der bedeutendsten Roma-Intellektuellen Europas. Seine Arbeit hat die Art und Weise verändert, wie Roma-Sprache und -Bildung studiert, gelehrt und verstanden werden. Noch wichtiger ist, dass er unzähligen Roma-Kindern und -Schülern das unschätzbare Geschenk gemacht hat, sich selbst in Büchern, Klassenzimmern und der Forschung wiederzuerkennen.
In einer Zeit, in der Roma-Gemeinschaften weiterhin von etablierten Bildungs- und Kultureinrichtungen ausgeschlossen sind, sind Kyuchukovs Leben und Vermächtnis eine eindringliche Erinnerung daran, dass Wissen nicht nur Macht, sondern auch Befreiung bedeutet. Und durch sein Beispiel wächst bereits die nächste Generation von Roma-Wissenschaftlern und -Führungskräften heran – selbstbewusster, sichtbarer und entschlossener als je zuvor.
Comentarios