Rahim Burhan
- petjerok
- 28. Mai
- 3 Min. Lesezeit
In einer Welt, in der die Roma-Gemeinschaft weiterhin um Sichtbarkeit, Würde und Gleichberechtigung kämpft, hat sich Rahim Burhan zu einer der einflussreichsten kulturellen Stimmen seiner Generation entwickelt. Als gefeierter Theaterregisseur, Schauspieler und Gründer des Pralipe Roma Theaters hat Burhan sein Leben der Stärkung der Roma-Identität durch Kunst verschrieben – nicht als Folklore, sondern als Vehikel für politisches Bewusstsein, kollektives Gedächtnis und Menschenwürde.
Rahim Burhan wurde 1957 in Kumanovo im damaligen Jugoslawien (heute Nordmazedonien) geboren und wuchs in einem sozialen und politischen Umfeld auf, das den Roma nur begrenzten Raum für ihre Selbstentfaltung bot. Schon früh war er sich der systemischen Barrieren für Roma – in Bildung, Kultur und beim Zugang zu Chancen – sehr bewusst, spürte aber auch die immense kreative Energie innerhalb seiner eigenen Gemeinschaft. Dieses doppelte Bewusstsein von Unterdrückung und Potenzial prägte seine künstlerische Mission.
Seine Reise in die Welt des Theaters begann an der Fakultät für Darstellende Künste in Skopje, wo er Schauspiel und später Regie studierte. Zu einer Zeit, als Roma – abgesehen von Stereotypen – in nationalen Kulturinstitutionen kaum präsent waren, waren Burhans akademische und berufliche Ambitionen an sich schon eine Form stillen Widerstands. Doch er begnügte sich nicht damit, sich einfach in bestehende Systeme zu integrieren; er versuchte, neue Strukturen zu schaffen, in denen die Stimmen der Roma nach ihren eigenen Vorstellungen gehört werden konnten.
1984 gründete er das Theater Pralipe – eine der ersten professionellen Roma-Theatergruppen Europas. Der Name „Pralipe“ bedeutet auf Romani „Bruderschaft“ und symbolisiert das Engagement der Gruppe für Solidarität, Identität und kulturelle Wiedergewinnung. Unter Burhans Leitung entwickelte sich das Theater zu einer innovativen Plattform für Roma-Erzählungen und beleuchtete Themen wie Migration, Marginalisierung, Diskriminierung und Identität aus der Perspektive der Roma-Erfahrung.
Was Pralipe revolutionär machte, war nicht nur seine Existenz, sondern auch seine Qualität. Die Produktionen – die traditionelle Roma-Musik und mündliches Geschichtenerzählen mit avantgardistischen Aufführungstechniken verbanden – fanden schnell großen Anklang bei den Kritikern. Die Gruppe tourte durch Europa, von Deutschland und Frankreich über die Niederlande bis hin zum Balkan, und trat auf Romani, Mazedonisch und Deutsch auf. In jeder Stadt forderten sie das Mainstream-Publikum auf, seine Annahmen über Roma zu überdenken, und vermittelten den Roma-Zuschauern gleichzeitig ein seltenes Gefühl von Stolz und Anerkennung.
Burhans Regieansatz ist zutiefst politisch und zugleich zutiefst menschlich. Seine Arbeit thematisiert oft das Trauma des Exils, das Erbe des Holocaust und die alltäglichen Kämpfe der Roma-Gemeinschaften im modernen Europa. Doch jenseits der Kritik trägt seine Kunst auch eine tiefe Liebe in sich – zur Sprache, zur Erinnerung, zur Schönheit und zum Schmerz des Roma-Lebens.
Sein Umzug nach Deutschland in den 1990er Jahren, während der Jugoslawienkriege, markierte ein weiteres Kapitel seiner Karriere. Dort setzte er seine künstlerische und anwaltliche Arbeit fort und inszenierte eindrucksvolle Stücke wie „Dui Rroma“ (Zwei Roma), „Romeo und Julia in einem Roma-Umfeld“ und „Winterreise“, ein Stück, das das Leid und die Widerstandsfähigkeit der Roma reflektiert. In einer Landschaft, in der Roma-Geschichten oft ausgelöscht oder exotisiert werden, betonte Burhan Komplexität, Nuancen und Authentizität.
Im Laufe seiner Karriere erhielt Burhan zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, doch sein größtes Vermächtnis sind die unzähligen jungen Roma-Künstler, die in seine Fußstapfen getreten sind. Für viele war er Mentor, Wegweiser und eine Erinnerung daran, dass Roma-Kunst nicht nur real, sondern auch lebenswichtig ist.
Auch jenseits der Bühne spricht Burhan leidenschaftlich über die Bedeutung der Selbstdarstellung der Roma in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Er glaubt, dass Kunst nicht von Politik getrennt, sondern ein grundlegender Bestandteil des Kampfes um Anerkennung und Gerechtigkeit ist. In Interviews betonte er oft, dass seine Mission nicht darin besteht, zu unterhalten, sondern aufzurütteln – sichtbar zu machen, was die Gesellschaft lieber ignoriert.
Heute gilt Rahim Burhan als Pionier nicht nur des Roma-Theaters, sondern der europäischen Kulturgeschichte. Mit seiner Arbeit hat er einen Raum geschaffen, in dem die Stimmen der Roma nicht nur einbezogen, sondern in den Mittelpunkt gestellt werden – Stimmen, die ihre eigene Sprache sprechen, ihre eigenen Geschichten erzählen und sich nicht zum Schweigen bringen lassen. In einer Zeit, in der Roma-Gemeinschaften weiterhin Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt ausgesetzt sind, erinnern uns Leben und Werk von Rahim Burhan an die Kraft der Kultur als Widerstand. Sein Theater ist nicht nur Performance – es ist ein Aufruf an das Gewissen, eine Rückgewinnung der Identität und eine Vision für eine gerechtere Welt.





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